Dienstag, 10. April 2012

We are sailing to Philadelphia - 2. Atlantiküberquerung


Dienstag, 27.3.2012

Während der Verabschiedung von Alijda flossen ein paar Abschiedstränchen und dann war es soweit. Das Taxi stand vor der Tür. Am Bahnhof in Bad Godesberg bekamen wir noch einen früheren Zug. Das war auch gut so, denn auf allen Bahnstrecken scheint repariert zu werden.  Alles lief reibungslos und so kamen wir gegen 15:30 in Antwerpen an. Der Agent sagte, wir könnten gleich an Bord gehen, also nichts wie rein ins Taxi und zum Kai 246 am Mannheimweg! Fällt euch da was auf? Ist das nicht ein netter Gruß aus unserer alten Heimat.

Die Taxifahrt war etwas abenteuerlich, eine Mischung aus „Ziemlich beste Freunde“ und „Wo du wolle“. Aber wir sind unversehrt am Schiff angekommen und das war die Hauptsache.



Die Beladung der Independent Accord war in vollem Gange. Trotzdem begrüßten uns alle recht freundlich und entschuldigten sich noch dafür, im Moment keine Zeit für uns zu haben. In Null Komma Nichts schleppte die Crew unsere schweren Taschen ins D Deck. Ein Trinkgeld für ihre Hilfe lehnten sie aber strikt ab.



Mittwoch, 28.3.2012

Wir haben eine große, geräumige Kabine bestehend aus zwei Räumen – ein Schlaf- und ein Wohnzimmer. Zur Begrüßung stand ein Obstkorb für uns bereit.
Wir werden fast wie Könige behandelt hier an Bord, jeder ist sehr bemüht und fragt nach unseren Wünschen. Der dritte Offizier namens Mario wird uns das Schiff zeigen und unsere Fragen beantworten, aber erst, wenn die Ladung an Bord ist.

Um 15 Uhr ist es dann soweit. Das Schiff legt ab und fährt in die Schleuse – die Reise beginnt. Innerhalb kürzester Zeit herrscht in der Schleuse eine drangvolle Enge. Mit uns werden 3 andere Schiffe geschleust. Der Lotse ist auch an Bord, um uns durch das schwierige Scheldefahrwasser zu führen.





Donnerstag, 29.3.2012

Allmählich fällt alles von uns ab. Die leichte Vibration und das Schaukeln lässt uns gut schlafen. Fast hätten wir heute Morgen das Frühstück verpasst. Anschließend ging es für uns auf die Brücke. Endlich können wir unser früheres Fahrgebiet von oben genießen. Es ist viel los im Verkehrstrennungsgebiet. Sogar ein Fischer holt in aller Ruhe seine Bojen ein.
Unser geliebtes Fécamp liegt irgendwo querab im Dunst. Unser Gedanken gehen zur Vierge de la Salut. Wir bitten sie um eine gute Fahrt für Schiff und Mannschaft, wie es die Fischer tun, wenn sie aufs Meer fahren.

Die See ist aalglatt. Draußen vor Neufundland jedoch braut sich ein Sturm zusammen. Es könnte sein, dass wir davon auch etwas abbekommen.


Freitag, 30.3.2012



Heute ist der erste und einzige Stopp während unserer Reise: Liverpool. Natürlich wollen wir der Stadt einen Besuch abstatten, aber nun wird uns bewusst, dass wir auf keinem Vergnügungsdampfer sind, sondern auf einem Cargo-Schiff. Gegen 17 Uhr sollen wir ankommen, aber bis wir längsseits liegen und die ganzen Formalitäten erledigt sind, damit wir von Bord können, ist bereits nach 18 Uhr. Die Fahrt in die Stadt dauert auch noch mal eine halbe Stunde und dann ist es bereits dunkel. Wir könnten sowieso nur höchstens 3 Stunden bleiben, da wir wieder rechtzeitig an Bord sein sollen. Schweren Herzens verzichten wir auf den Besuch von Liverpool, der Geburtsstadt meiner über alles geliebten Beatles! Wir nehmen uns vor, irgendwann einmal eine Nostalgietour durch England zu machen. Schließlich haben wir nun die 100 engl. Pfund als Startkapital für die Reise.

Die Hafeneinfahrt war spektakulär. Die Hafenanlagen sehen recht alt und mitgenommen aus und sind für die moderne Seefahrt ungeeignet. Die Schiffe müssen auf engem Raum manövrieren und gegenseitig ausweichen. Fast mutet es an wie ein Schiffsballett, aber wir können uns vorstellen, dass sich die Kapitäne bei diesen Anlegemanövern manche Schweißperle von der Stirn wischen müssen.

Dank Satellitenempfang endet unser Abend mit der Fernsehsendung „Lanz kocht“, die das Menü der Titanic am Tag des Untergangs zum Thema hat. Eine richtige Einstimmung für den Start unserer morgigen Atlantikpassage.


Samstag, 31.3.2012 – 1. Seetag

Mitten in der Nacht hieß es für die Independent Accord: „Leinen los“. Wir schliefen zu der Zeit schon ganz tief (ein Vorteil dieser Form der Überquerung) und wurden nur durch die veränderte Vibration und die Schaukelbewegungen kurz wach.

Als wir am Morgen zum Frühstück gingen, fuhren wir gerade am südöstlichen Ende von Irland vorbei. Der letzte Leuchtturm in Europa Tuskar Rock verabschiedete uns. Noch sahen wir jede Menge Schiffe um uns herum.


Sonntag, 01.04.2012 – 2. Seetag


Das sonnige Wetter hat sich endgültig verabschiedet. Am Himmel hängen dicke, graue Wolken, aber zum Glück sind die Temperaturen noch angenehm. So weit wir schauen nur noch Wasserwüste. Es sind auch keine Schiffe mehr zu sehen. Wir lieben diese Einförmigkeit. Sie macht bei uns im Kopf Platz für Neues, sozusagen Frühjahrsputz fürs Gehirn. Auf dem Schiff werden die immer gleichen Tage durch die Küche aufgelockert. So gibt es am Samstag immer „German Soup“. Das ist eine weiße Bohnensuppe mit Würstchen und am Sonntag zum Frühstück Pfannkuchen mit Nutella. Das muss für die Seeleute eine ganz besondere Köstlichkeit sein, denn als der Steward Jonathan uns das Glas hinstellt, leuchten seine Augen. Ja, er liebe Nutella über alles.
Da wir in Richtung Westen fahren wird heute die Uhr um eine Stunde zurückgestellt.



Montag, 02.04.2012 – 3. Seetag

Draußen auf dem Atlantik lauert ein ziemlich ausgeprägtes Tiefsystem, das nichts Gutes verspricht. Die Crew beobachtet es schon eine ganze Zeit, um wenn notwendig, etwas auszuweichen. Es werden Wellen bis zu 6 Metern Höhe erwartet und Windgeschwindigkeiten bis 8 Beaufort (40 Knoten). Hoffen wir, dass wir das Tief nur am Rande streifen. Noch ist die See ruhig. Auch heute wurde die Uhr wieder um eine Stunde zurück gestellt.

Das Essen an Bord ist sehr abwechslungsreich und gut. Es wird ein englisches Frühstück serviert mit Eiern und Speck. Mittags und abends gibt es eine warme Mahlzeit. Die Portionen sind für starke Seemänner. Wir haben den Koch gebeten, uns nur eine kleine Portion auf den Teller zu machen. Das reicht für unseren Bedarf allemal.



Dienstag, 03.04.2012 – 4. Seetag

Uff, das ist gerade noch gut gegangen. Am ersten Tief sind wir vorbeigeschrammt, aber noch gibt es einige Wetterkapriolen auf unserer Route. Hoffen wir, dass auch die sich in Nichts auflösen.
Nun gibt es wieder einige sonnige Abschnitte. Das Wetter ist richtig angenehm und mild, für uns erstaunlich für diese Jahreszeit auf dem Atlantik.

Die Crew besteht aus 21 Personen aus vier Nationen, Rumänien, Kroatien, Russland und Philippinen. Die Offiziere haben meist einen 4 Monatsvertrag und danach 2 Monate frei. Die philippinische Crew hat Verträge die über 10 Monate im Bedarf mit 2 Monaten Verlängerung dauern. Danach haben sie zwei Monate frei. So ist ein ständiger Wechsel an Bord. Wir haben 21 Individualisten erlebt. Aufgrund des ständigen Kommens und Gehens an Bord sprechen sich die Männer nicht mit Vornamen, sondern mit der Funktion an z.B. Cookie für den Koch, Messi für den Stuart, Captain  oder Third für den dritten Offizier. Daran mussten wir uns erst gewöhnen. Als wir unseren Stuart „Jonathan“ gerufen haben, hat er nicht reagiert, so sehr ist er auf „Messi“ programmiert.


Mittwoch, 04.04.2012 – 5. Seetag

Als wir heute morgen aufwachen, ist draußen dichter Nebel. Wie wenn man einen Schalter umdreht, begannen gegen 6 Uhr größere Schiffsbewegungen, die einen höheren Wellengang und mehr Wind anzeigen. Wenn wir nun die Treppen rauf und runter gehen, bekommen wir entweder eine Beschleunigung oder wir haben das Gefühl den Mount Everest zu besteigen. Zum Glück ist das Treppenhaus ganz eng und links und recht ist ein Handlauf, an dem man sich gut festhalten kann. Seit heute morgen ist auch das Vorschiff gesperrt. Es darf nur  noch mit Erlaubnis des Kapitäns betreten werden.
Die Wettervorhersage sieht nicht gut aus. Vor uns liegt wieder ein gewaltiges Tief, das hoffentlich nach Norden zieht, aber wir werden dieses Mal ganz bestimmt etwas davon abbekommen. Im Wetterbericht ist auch von Eisbergen vor Neufundland die Rede. Da kommen Erinnerungen an die Titanic hoch, die vor genau hundert Jahren einen Eisberg gerammt hat und unterging.

Die Wetterbedingungen verschlechterten sich den Tag über zusehends. Der Wind wurde immer stärker (ca. 45 Knoten) und die Wellen immer höher (bis 6 Meter). Vor dem Abendessen klopfte es an die Tür. Es war der Kapitän, der sich nach unserem Befinden erkundigte. Er war sichtlich erleichtert, uns so munter zu sehen.

Auch haben wir wieder eine Zeitzone überschritten, weshalb die Uhr nochmals um eine Stunde zurück gestellt wurde.


Gründonnerstag, 05.04.2012 – 6. Seetag

Als wir heute morgen aufwachten, war der Sturm so gut wie vorbei, vielleicht auch nur gefühlt, da die Sonne schien und alles nicht mehr ganz so schlimm aussah.
Das Sturmtief hat sich nach Norden verzogen. Bei unserem täglichen Besuch auf der Brücke sahen wir noch eine Reihe von Tiefdruckgebieten vor uns auf der Wetterkarte. Das eine oder andere könnte uns noch gefährlich werden.
Nach dem Essen bekam Manfred eine Führung durch das Herz des Schiffes, den Maschinenraum.
Die Antriebsmaschine mit 7 Zylindern und über 20.000 PS nimmt unter Deck 4 Stockwerke Platz in Anspruch. In deren Umgebung sind die Anlage zur Vorheizung des Treibstoffs, Motoröl- und Treibstofffilter, Zweikreis-Kühlanlage und jede Menge Pumpen für unzählige Aufgaben untergebracht. Eine Wassergewinnungsanlage, die mit Motorabwärme als Energie bis zu 18.000 l Wasser am Tag erzeugt und damit den (Trink-)Wasserbedarf von ca 10.000 l pro Tag deckt, drei Stromgeneratoren, Abwasseraufbereitungsanlage und Ölabscheider ergänzen die Ausrüstung.
Das ganze wird von eine Zentrale, unterstützt durch ein Prozessleitsystem, unabhängig von der Brücke gesteuert und überwacht. Die klassische Signalanlage, aus Messing und großen Anzeigen wie sie aus den alten Filmen bekannt ist, besteht aus einem kleinen Schalthebel im Taschenformat. Das ganze wird von einer 4 köpfigen Mannschaft betrieben und gepflegt.

Jonathan, unser "Messy"
Auf dem Schiff herrscht eine strenge Trennung. Die Offiziere haben einen eigenen Speiseraum, in dem auch wir auch essen. Die philippinische Mannschaft hat ihre eigenen Räumlichkeiten. Auch zwei der Philippinen, die es in die höheren Ränge geschafft haben (2. Offizier auf der Brücke, 3. Maschinist), essen gemeinsam mit ihren Landsleuten. Auch der Speiseplan ist unterschiedlich. Während die Offiziere europäisches Speisen bekommen, gibt es auf der anderen Seite philippinisches Essen.

Karfreitag, 06.04.2012 – 7. Seetag
Die Nacht war ziemlich unruhig. Wir hatten bis zu 6 Meter Welle und Wind bis 56 Knoten. Das war ganz schön heftig. Zum Glück werden wir nicht seekrank, so konnten wir auch dieses Geschaukel noch genießen.
Der Himmel ist bewölkt mit sonnigen Abschnitten, allerdings steht der Schwell noch von dem vorangegangen Sturm und so bewegt sich das Schiff immer noch wie ein bockiges Pferd. Auf der Brücke erfahren wir, dass noch mehrere Tiefs im Anmarsch sind denen wir wohl nicht entkommen werden – Seemannsalltag.
Am Himmel fliegt ein Schwarm Möwen untrügliches Zeichen, dass  Land (Neufundland) nicht so weit weg ist. Noch sind es 1,100 sm bis zu unserem Ziel Chester. Auch heute stellen wir die Uhr wieder eine Stunde zurück.

Ostersamstag, 07.04.2012 – 8. Seetag

Heute hatten wir ein ganz besonderes Vergnügen – eine Sicherheitsübung. Der Kapitän hatte uns schon vorgewarnt. Er dachte wohl aufgrund unseres Alters, wir könnten einen Herzinfarkt bekommen, wenn der Alarm losgeht. Für uns war es Spaß, ein wenig Abwechslung im Bordalltag.



Ostersonntag, 08.04.2012 – 9. Seetag



Die ganze Nacht weht es mit bis zu 9 Windstärken. Es regnete wie aus Kübeln. Der Himmel ist voller dunkler Wolken, nur ab und zu ist der Vollmond zu sehen, was eine ganz gespenstige Stimmung verbreitet. Das Schiff rollt in den Wellen.

Mit den begrenzten Bordmitteln wird  Osterstimmung verbreitet. Es gibt mit Zwiebelschalen gefärbte Eier und ein paar Grußmails der Reederei hängen am schwarzen Brett. Aus allen Ecken tönt es „Happy Eastern“.

Allmählich wird es Zeit, dass wir ankommen. Wir freuen uns auf Spaziergänge, Stadterkundung und die bunten Farben an Land und natürlich auch auf unser Segelboot, dass hoffentlich bald wieder in seinem Element schwimmen wird.

Ostermontag, 09.04.2012 – 10 Seetag

Wir werden durch ein Pfeifkonzert geweckt. Aus dem Nichts hat sich ein weiteres Tiefdruckgebiet entwickelt und erfreut uns nun mit 53 Knoten Wind – nicht gerade ein netter Empfang in den USA.

Vor Sonnenuntergang - Endlich – Land in Sicht! Das ist wie immer der aufregende Teil einer so langen Reise. Auch das Wetter hat sich beruhigt.


Dienstag, 10.4.2012 – 11 Seetag Ankunft in Chester bei Philadelphia

Nach 3956 sm  haben wieder festen Boden unter den Füssen. Die Fahrt mit dem Containerschiff war ein ganz besonderes Erlebnis. Es ist noch Winterhalbjahr, deshalb hatten wir viele Tiefdruckgebiete mit Stürmen. Die Crew war sehr hilfsbereit und nett. In unserer geräumigen Kabine fühlten wir uns wohl.
Von Seefahrtsromanik allerdings ist auf den Containerschiffen nichts zu spüren. Es ist ein hartes Leben, das die Seeleute führen. Monatelang weg von zu Hause und aufgrund der kurzen Liegezeiten gibt es kaum Möglichkeiten an Land zu gehen. Je schneller die Fracht von A nach B transportiert wird, desto besser. In Zeiten der Wirtschaftskrise fallen die Frachtraten ins Bodenlose. Es ist ein harter Kampf. Auf der Independent Accord arbeiten im Moment 21 Menschen. Wir haben großen Respekt vor  ihrer Leistung.
Während der Überfahrt hat jeder von uns die 10 mitgebrachten Bücher gelesen. Die bleiben hier an Bord für die nächsten Gäste. Dann haben wir endlich aus all den bisher gemachten Bildern eine Auswahl für Vorführungen zusammengestellt. Eine Rohfassung von Lindas Lebensgeschichte ist auch fertig. Allerdings fehlen noch die Fotos aus all den Jahren. Hier auf dem Schiff hatten wir Zeit, um all die Dinge zu erledigen, die wir schon lange vor uns hergeschoben haben.

1 Kommentar:

  1. Danke, danke - für diese letzte halbe Stunde Lesevergnügen, das mir die Mittagspause versüßt hat.

    Anne

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