Dienstag, 27.3.2012
Während der Verabschiedung
von Alijda flossen ein paar Abschiedstränchen und dann war es soweit. Das Taxi
stand vor der Tür. Am Bahnhof in Bad Godesberg bekamen wir noch einen früheren
Zug. Das war auch gut so, denn auf allen Bahnstrecken scheint repariert zu
werden. Alles lief reibungslos und
so kamen wir gegen 15:30 in Antwerpen an. Der Agent sagte, wir könnten gleich
an Bord gehen, also nichts wie rein ins Taxi und zum Kai 246 am Mannheimweg!
Fällt euch da was auf? Ist das nicht ein netter Gruß aus unserer alten Heimat.
Die Taxifahrt war etwas
abenteuerlich, eine Mischung aus „Ziemlich beste Freunde“ und „Wo du wolle“.
Aber wir sind unversehrt am Schiff angekommen und das war die Hauptsache.
Die Beladung der Independent Accord war in vollem Gange. Trotzdem begrüßten uns alle recht freundlich und entschuldigten sich noch dafür, im Moment keine Zeit für uns zu haben. In Null Komma Nichts schleppte die Crew unsere schweren Taschen ins D Deck. Ein Trinkgeld für ihre Hilfe lehnten sie aber strikt ab.
Mittwoch, 28.3.2012
Wir haben eine große,
geräumige Kabine bestehend aus zwei Räumen – ein Schlaf- und ein Wohnzimmer.
Zur Begrüßung stand ein Obstkorb für uns bereit.
Wir werden fast wie Könige
behandelt hier an Bord, jeder ist sehr bemüht und fragt nach unseren Wünschen.
Der dritte Offizier namens Mario wird uns das Schiff zeigen und unsere Fragen
beantworten, aber erst, wenn die Ladung an Bord ist.
Um 15 Uhr ist es dann
soweit. Das Schiff legt ab und fährt in die Schleuse – die Reise beginnt.
Innerhalb kürzester Zeit herrscht in der Schleuse eine drangvolle Enge. Mit uns
werden 3 andere Schiffe geschleust. Der Lotse ist auch an Bord, um uns durch
das schwierige Scheldefahrwasser zu führen.
Donnerstag, 29.3.2012
Allmählich fällt alles von
uns ab. Die leichte Vibration und das Schaukeln lässt uns gut schlafen. Fast
hätten wir heute Morgen das Frühstück verpasst. Anschließend ging es für uns
auf die Brücke. Endlich können wir unser früheres Fahrgebiet von oben genießen.
Es ist viel los im Verkehrstrennungsgebiet. Sogar ein Fischer holt in aller
Ruhe seine Bojen ein.
Unser geliebtes Fécamp liegt
irgendwo querab im Dunst. Unser Gedanken gehen zur Vierge de la Salut. Wir bitten
sie um eine gute Fahrt für Schiff und Mannschaft, wie es die Fischer tun, wenn
sie aufs Meer fahren.
Die See ist aalglatt.
Draußen vor Neufundland jedoch braut sich ein Sturm zusammen. Es könnte sein,
dass wir davon auch etwas abbekommen.
Freitag, 30.3.2012
Heute ist der erste und
einzige Stopp während unserer Reise: Liverpool. Natürlich wollen wir der Stadt
einen Besuch abstatten, aber nun wird uns bewusst, dass wir auf keinem
Vergnügungsdampfer sind, sondern auf einem Cargo-Schiff. Gegen 17 Uhr sollen
wir ankommen, aber bis wir längsseits liegen und die ganzen Formalitäten
erledigt sind, damit wir von Bord können, ist bereits nach 18 Uhr. Die Fahrt in
die Stadt dauert auch noch mal eine halbe Stunde und dann ist es bereits
dunkel. Wir könnten sowieso nur höchstens 3 Stunden bleiben, da wir wieder
rechtzeitig an Bord sein sollen. Schweren Herzens verzichten wir auf den Besuch
von Liverpool, der Geburtsstadt meiner über alles geliebten Beatles! Wir nehmen
uns vor, irgendwann einmal eine Nostalgietour durch England zu machen.
Schließlich haben wir nun die 100 engl. Pfund als Startkapital für die Reise.
Die Hafeneinfahrt war
spektakulär. Die Hafenanlagen sehen recht alt und mitgenommen aus und sind für
die moderne Seefahrt ungeeignet. Die Schiffe müssen auf engem Raum manövrieren
und gegenseitig ausweichen. Fast mutet es an wie ein Schiffsballett, aber wir
können uns vorstellen, dass sich die Kapitäne bei diesen Anlegemanövern manche
Schweißperle von der Stirn wischen müssen.
Dank Satellitenempfang endet
unser Abend mit der Fernsehsendung „Lanz kocht“, die das Menü der Titanic am
Tag des Untergangs zum Thema hat. Eine richtige Einstimmung für den Start
unserer morgigen Atlantikpassage.
Samstag, 31.3.2012 – 1. Seetag
Mitten in der Nacht hieß es
für die Independent Accord: „Leinen los“. Wir schliefen zu der Zeit schon ganz
tief (ein Vorteil dieser Form der Überquerung) und wurden nur durch die
veränderte Vibration und die Schaukelbewegungen kurz wach.
Als wir am Morgen zum
Frühstück gingen, fuhren wir gerade am südöstlichen Ende von Irland vorbei. Der
letzte Leuchtturm in Europa Tuskar Rock verabschiedete uns. Noch sahen wir jede
Menge Schiffe um uns herum.
Sonntag, 01.04.2012 – 2.
Seetag
Das sonnige Wetter hat sich endgültig verabschiedet. Am Himmel hängen dicke, graue Wolken, aber zum Glück sind die Temperaturen noch angenehm. So weit wir schauen nur noch Wasserwüste. Es sind auch keine Schiffe mehr zu sehen. Wir lieben diese Einförmigkeit. Sie macht bei uns im Kopf Platz für Neues, sozusagen Frühjahrsputz fürs Gehirn. Auf dem Schiff werden die immer gleichen Tage durch die Küche aufgelockert. So gibt es am Samstag immer „German Soup“. Das ist eine weiße Bohnensuppe mit Würstchen und am Sonntag zum Frühstück Pfannkuchen mit Nutella. Das muss für die Seeleute eine ganz besondere Köstlichkeit sein, denn als der Steward Jonathan uns das Glas hinstellt, leuchten seine Augen. Ja, er liebe Nutella über alles.
Da wir in Richtung Westen
fahren wird heute die Uhr um eine Stunde zurückgestellt.
Montag, 02.04.2012 – 3. Seetag
Draußen auf dem Atlantik
lauert ein ziemlich ausgeprägtes Tiefsystem, das nichts Gutes verspricht. Die
Crew beobachtet es schon eine ganze Zeit, um wenn notwendig, etwas
auszuweichen. Es werden Wellen bis zu 6 Metern Höhe erwartet und
Windgeschwindigkeiten bis 8 Beaufort (40 Knoten). Hoffen wir, dass wir das Tief
nur am Rande streifen. Noch ist die See ruhig. Auch heute wurde die Uhr wieder
um eine Stunde zurück gestellt.
Das Essen an Bord ist sehr
abwechslungsreich und gut. Es wird ein englisches Frühstück serviert mit Eiern
und Speck. Mittags und abends gibt es eine warme Mahlzeit. Die Portionen sind
für starke Seemänner. Wir haben den Koch gebeten, uns nur eine kleine Portion
auf den Teller zu machen. Das reicht für unseren Bedarf allemal.
Dienstag, 03.04.2012 – 4. Seetag
Uff, das ist gerade noch gut
gegangen. Am ersten Tief sind wir vorbeigeschrammt, aber noch gibt es einige
Wetterkapriolen auf unserer Route. Hoffen wir, dass auch die sich in Nichts
auflösen.
Nun gibt es wieder einige
sonnige Abschnitte. Das Wetter ist richtig angenehm und mild, für uns
erstaunlich für diese Jahreszeit auf dem Atlantik.
Die Crew besteht aus 21
Personen aus vier Nationen, Rumänien, Kroatien, Russland und Philippinen. Die
Offiziere haben meist einen 4 Monatsvertrag und danach 2 Monate frei. Die
philippinische Crew hat Verträge die über 10 Monate im Bedarf mit 2 Monaten
Verlängerung dauern. Danach haben sie zwei Monate frei. So ist ein ständiger
Wechsel an Bord. Wir haben 21 Individualisten erlebt. Aufgrund des ständigen
Kommens und Gehens an Bord sprechen sich die Männer nicht mit Vornamen, sondern
mit der Funktion an z.B. Cookie für den Koch, Messi für den Stuart,
Captain oder Third für den dritten
Offizier. Daran mussten wir uns erst gewöhnen. Als wir unseren Stuart
„Jonathan“ gerufen haben, hat er nicht reagiert, so sehr ist er auf „Messi“
programmiert.
Mittwoch, 04.04.2012 – 5. Seetag
Als wir heute morgen
aufwachen, ist draußen dichter Nebel. Wie wenn man einen Schalter umdreht,
begannen gegen 6 Uhr größere Schiffsbewegungen, die einen höheren Wellengang
und mehr Wind anzeigen. Wenn wir nun die Treppen rauf und runter gehen,
bekommen wir entweder eine Beschleunigung oder wir haben das Gefühl den Mount
Everest zu besteigen. Zum Glück ist das Treppenhaus ganz eng und links und
recht ist ein Handlauf, an dem man sich gut festhalten kann. Seit heute morgen
ist auch das Vorschiff gesperrt. Es darf nur noch mit Erlaubnis des Kapitäns betreten werden.
Die Wettervorhersage sieht
nicht gut aus. Vor uns liegt wieder ein gewaltiges Tief, das hoffentlich nach
Norden zieht, aber wir werden dieses Mal ganz bestimmt etwas davon abbekommen.
Im Wetterbericht ist auch von Eisbergen vor Neufundland die Rede. Da kommen
Erinnerungen an die Titanic hoch, die vor genau hundert Jahren einen Eisberg
gerammt hat und unterging.
Die Wetterbedingungen
verschlechterten sich den Tag über zusehends. Der Wind wurde immer stärker (ca.
45 Knoten) und die Wellen immer höher (bis 6 Meter). Vor dem Abendessen klopfte
es an die Tür. Es war der Kapitän, der sich nach unserem Befinden erkundigte.
Er war sichtlich erleichtert, uns so munter zu sehen.
Auch haben wir wieder eine
Zeitzone überschritten, weshalb die Uhr nochmals um eine Stunde zurück gestellt
wurde.
Gründonnerstag, 05.04.2012 – 6. Seetag
Als wir heute morgen
aufwachten, war der Sturm so gut wie vorbei, vielleicht auch nur gefühlt, da
die Sonne schien und alles nicht mehr ganz so schlimm aussah.
Das Sturmtief hat sich nach
Norden verzogen. Bei unserem täglichen Besuch auf der Brücke sahen wir noch
eine Reihe von Tiefdruckgebieten vor uns auf der Wetterkarte. Das eine oder
andere könnte uns noch gefährlich werden.
Die Antriebsmaschine mit 7
Zylindern und über 20.000 PS nimmt unter Deck 4 Stockwerke Platz in Anspruch. In
deren Umgebung sind die Anlage zur Vorheizung des Treibstoffs, Motoröl- und
Treibstofffilter, Zweikreis-Kühlanlage und jede Menge Pumpen für unzählige
Aufgaben untergebracht. Eine Wassergewinnungsanlage, die mit Motorabwärme als
Energie bis zu 18.000 l Wasser am Tag erzeugt und damit den (Trink-)Wasserbedarf
von ca 10.000 l pro Tag deckt, drei Stromgeneratoren,
Abwasseraufbereitungsanlage und Ölabscheider ergänzen die Ausrüstung.
Das ganze wird von eine
Zentrale, unterstützt durch ein Prozessleitsystem, unabhängig von der Brücke
gesteuert und überwacht. Die klassische Signalanlage, aus Messing und großen
Anzeigen wie sie aus den alten Filmen bekannt ist, besteht aus einem kleinen
Schalthebel im Taschenformat. Das ganze wird von einer 4 köpfigen Mannschaft
betrieben und gepflegt.
Jonathan, unser "Messy" |
Karfreitag, 06.04.2012 – 7. Seetag
Die Nacht war ziemlich
unruhig. Wir hatten bis zu 6 Meter Welle und Wind bis 56 Knoten. Das war ganz
schön heftig. Zum Glück werden wir nicht seekrank, so konnten wir auch dieses
Geschaukel noch genießen.
Der Himmel ist bewölkt mit
sonnigen Abschnitten, allerdings steht der Schwell noch von dem vorangegangen
Sturm und so bewegt sich das Schiff immer noch wie ein bockiges Pferd. Auf der
Brücke erfahren wir, dass noch mehrere Tiefs im Anmarsch sind denen wir wohl
nicht entkommen werden – Seemannsalltag.
Am Himmel fliegt ein Schwarm
Möwen untrügliches Zeichen, dass Land
(Neufundland) nicht so weit weg ist. Noch sind es 1,100 sm bis zu unserem Ziel
Chester. Auch heute stellen wir die Uhr wieder eine Stunde zurück.
Ostersamstag, 07.04.2012 – 8. Seetag
Heute hatten wir ein ganz
besonderes Vergnügen – eine Sicherheitsübung. Der Kapitän hatte uns schon
vorgewarnt. Er dachte wohl aufgrund unseres Alters, wir könnten einen
Herzinfarkt bekommen, wenn der Alarm losgeht. Für uns war es Spaß, ein wenig
Abwechslung im Bordalltag.
Ostersonntag, 08.04.2012 – 9. Seetag
Die ganze Nacht weht es mit bis zu 9 Windstärken. Es regnete wie aus Kübeln. Der Himmel ist voller dunkler Wolken, nur ab und zu ist der Vollmond zu sehen, was eine ganz gespenstige Stimmung verbreitet. Das Schiff rollt in den Wellen.
Mit den begrenzten
Bordmitteln wird Osterstimmung
verbreitet. Es gibt mit Zwiebelschalen gefärbte Eier und ein paar Grußmails der
Reederei hängen am schwarzen Brett. Aus allen Ecken tönt es „Happy Eastern“.
Allmählich wird es Zeit,
dass wir ankommen. Wir freuen uns auf Spaziergänge, Stadterkundung und die
bunten Farben an Land und natürlich auch auf unser Segelboot, dass hoffentlich
bald wieder in seinem Element schwimmen wird.
Ostermontag, 09.04.2012 – 10 Seetag
Wir werden durch ein
Pfeifkonzert geweckt. Aus dem Nichts hat sich ein weiteres Tiefdruckgebiet
entwickelt und erfreut uns nun mit 53 Knoten Wind – nicht gerade ein netter
Empfang in den USA.
Vor Sonnenuntergang -
Endlich – Land in Sicht! Das ist wie immer der aufregende Teil einer so langen
Reise. Auch das Wetter hat sich beruhigt.
Dienstag, 10.4.2012 – 11 Seetag Ankunft in Chester
bei Philadelphia
Nach 3956 sm haben wieder festen Boden unter den
Füssen. Die Fahrt mit dem Containerschiff war ein ganz besonderes Erlebnis. Es
ist noch Winterhalbjahr, deshalb hatten wir viele Tiefdruckgebiete mit Stürmen.
Die Crew war sehr hilfsbereit und nett. In unserer geräumigen Kabine fühlten
wir uns wohl.
Von Seefahrtsromanik
allerdings ist auf den Containerschiffen nichts zu spüren. Es ist ein hartes
Leben, das die Seeleute führen. Monatelang weg von zu Hause und aufgrund der
kurzen Liegezeiten gibt es kaum Möglichkeiten an Land zu gehen. Je schneller
die Fracht von A nach B transportiert wird, desto besser. In Zeiten der
Wirtschaftskrise fallen die Frachtraten ins Bodenlose. Es ist ein harter Kampf.
Auf der Independent Accord arbeiten im Moment 21 Menschen. Wir haben großen
Respekt vor ihrer Leistung.
Während der Überfahrt hat
jeder von uns die 10 mitgebrachten Bücher gelesen. Die bleiben hier an Bord für
die nächsten Gäste. Dann haben wir endlich aus all den bisher gemachten Bildern
eine Auswahl für Vorführungen zusammengestellt. Eine Rohfassung von Lindas
Lebensgeschichte ist auch fertig. Allerdings fehlen noch die Fotos aus all den
Jahren. Hier auf dem Schiff hatten wir Zeit, um all die Dinge zu erledigen, die
wir schon lange vor uns hergeschoben haben.
Danke, danke - für diese letzte halbe Stunde Lesevergnügen, das mir die Mittagspause versüßt hat.
AntwortenLöschenAnne